Dr. Jan-Uwe Schmidt

Haben Kiebitze in Zeiten industrialisierter Landwirtschaft noch eine Chance?

Der Freistaat Sachsen ist eines der 16 Bundesländer Deutschlands und liegt im Osten des Landes (Abb. 1). Die Distanz zur Küste ist groß und die Region ist aus natürlichen Gründen vergleichsweise arm an feuchten Offenlandgebieten. Kiebitze brüten daher seit den 1950er Jahren überwiegend auf Ackerland. Die Bestände der einst häufigen Art haben seit den 1980er Jahren stark abgenommen und umfassen aktuell 400-800 Brutpaare. Der drastische Rückgang um ca. 80 % binnen weniger Jahrzehnte führte zur Einstufung in die höchste Rote-Liste-Kategorie 1 [1]. Der Rückgang der Art ist dabei nicht auf Sachsen beschränkt und betrifft generell viele Offenlandvogelarten, selbst so häufige Generalisten wie die Feldlerche (Alauda arvensis). Daher beschloss der Sächsische Landtag 2008 ein landesweites Projekt zur Entwicklung und Erprobung nutzungsintegrierter Artenschutzmaßnahmen für Ackervogelarten durchzuführen – das Bodenbrüterprojekt. Eine der Zielarten war der Kiebitz.

Kiebitze sind generell sehr gut an Ackerstandorte adaptiert und besiedeln diese aufgrund der schütteren Vegetation im zeitigen Frühjahr. In Sachsen betrifft das vor allem: (1) frisch bearbeitete bzw. gesäte Äcker mit Sommergetreide (v. a. Sommergerste), (2) Felder mit Winterstoppeln oder vertrockneten Winterzwischenkulturen, die für die Aussaat später Sommerungen (z. B. Mais) vorgesehen sind, (3) Nassstellen in Winterungen.

Die Bruten in Sommergetreide funktionieren meist sehr gut. Diese werden in Sachsen, je nach Witterung, meist im März eingebracht, sodass diese Felder während der Kernbrutzeit im April sehr gute Brutbedingungen und im Mai dann gute Deckung und Nahrung für die Jungen bieten. Allerdings umfasst die Anbaufläche früher Sommerungen lediglich ca. 5 % der sächsischen Ackerfläche [2].

Stattdessen werden viele Kiebitze von den ausgedehnten, im zeitigen Frühjahr noch unbestellten Flächen für späte Sommerungen angezogen. Diese Flächen fungieren damit als ökologische Falle, denn bei der Bodenbearbeitung im April gehen viele Kiebitzgelege verloren. Eine Maßnahme ist, die Gelege zu suchen und durch Markierungen vor der Zerstörung zu bewahren. Im Zuge des Projekts wurden von 2010-2015 79 Kiebitzgelege gesucht und mit Stangen ca. 8 m vor und hinter dem Nest in Bearbeitungsrichtung markiert. Aus den so gesicherten Gelegen schlüpften in 60 % der Fälle Junge [3]. Viele Landwirte reagierten positiv auf die Maßnahme, z. B. wenn sie die Gelege auf ihren Äckern gezeigt bekamen. Die Gelegesuche ist allerdings sehr zeitaufwändig, denn die Nester sind inmitten der großen Schläge schwer zu finden. Zudem ist das Zeitfenster dafür von Mitte April bis Mitte Mai recht klein, angesichts der vielen Flächen, die mit begrenztem Personal abgesucht werden müssten.

Abb. 1: Nassstelle in Winterroggen. (Foto: J.-U. Schmidt)

Daher war die zweite Strategie im Projekt, Flächen zu schaffen, die Kiebitze attraktiv finden, wo aber keine weiteren Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind. Hierfür lag der Fokus auf Nassstellen, die es in vielen Ackerschlägen gibt. Wintergetreide oder Winterraps sind dort im Wuchs gehemmt oder fallen ganz aus. (Abb. 1). Die Landwirte entwässern Nassstellen durch Einbau oder Erneuerung von Drainagerohren. Weil Drainagen teuer sind und zudem an regelmäßig auftretenden Nassstellen ebenso regelmäßig ersetzt werden müssen, war das Schlüsselkonzept: Warum nicht stattdessen „Geld mit Kiebitzen verdienen“ und diese Flächen zur Verbesserung der Artenvielfalt auf Äckern nutzen? Kiebitze nutzen Nassstellen auch wenn sie nicht gezielt hergerichtet werden, vor allem dort wo diese immer wieder auftreten. Allerdings sind die Flächen oftmals zu klein um attraktiv zu sein und wenn doch, dann mindern die umgebenden Kulturen die Sichtbedingungen ab April, was potenziell die Prädationsrate erhöht. Wir ließen die Landwirte also erprobungsweise Kiebitzinseln an Nassstellen herrichten. Die Flächen umfassten die Nassstelle selbst und einen angrenzenden Bereich. Sie mussten im Herbst gepflügt werden, sodass die Vegetation weitgehend beseitigt war. Dies sollte die Evapotranspiration verringern und die Flächen für brutwillige Kiebitze im folgenden Frühjahr attraktiv machen (Abb. 2).

Abb. 2: Kiebitzinsel in Winterroggen im März. (Foto: J.-U. Schmidt)

Insgesamt untersuchten wir 61 Kiebitzinseln und ebenso viele nicht hergerichtete, nahe gelegene Nassstellen zum Vergleich. Kiebitze nutzten 65 % der Kiebitzinseln, aber nur 37 % der Vergleichsflächen. 64 Kiebitzpaare brüteten auf 26 Kiebitzinseln (Abb. 3), nur 18 Paare auf 9 Vergleichsflächen. Der Schlupferfolg war signifikant höher als ohne Maßnahme (24 Paare auf 11 Kiebitzinseln vs. 3 Paare auf 2 Vergleichsflächen), was auf geringere Prädation verweist. Darüber hinaus untersuchten wir die Faktoren, welche die Kiebitzinseln für Kiebitze attraktiv machten. Am besten waren Kiebitzinseln die: (1) mind. ca. 2 ha groß waren, (2) an einem traditionellen Kiebitzbrutplatz lagen, (3) spärlichen Bewuchs aufwiesen und (4) über eine permanente Wasserfläche verfügten. Andere Vogelarten, die von den Kiebitzinseln profitierten waren vor allem Feldlerche (Alauda arvensis) und Wiesenschafstelze (Motacilla flava), die auf 96,5 % bzw. 80,7 % der Flächen präsent waren, während die Nutzung der Kontrollflächen mit 87,5 % bzw. 37,5 % deutlich geringer ausfiel [4].

Abb. 3: Kiebitznest auf einer der Kiebitzinseln des Bodenbrüterprojekts. (Foto: J.-U. Schmidt)

Abschließend noch ein paar Worte zur Zusammenarbeit mit den Landwirten. Die meisten zeigten sich grundsätzlich offen für den Kiebitzschutz. Das mag am positiven Image der Art liegen und hängt sicher auch damit zusammen, dass der Kiebitz tendenziell unproduktive Standorte bevorzugt. Aber auch die behutsame Vorgehensweise der Projektmitarbeiter*innen trug sicher dazu bei. Wir sind stets erst ins Gelände gefahren und haben potenzielle und bestehende Kiebitzbrutplätze erfasst, basierend auf Beobachtungen früherer Jahre und unterstützt von örtlichen Ornithologen. In einem zweiten Schritt haben wir die Landwirte persönlich kontaktiert und gezielt auf konkrete Nassstellen angesprochen. Wir haben dargelegt was getan werden kann, um die Nassstelle für den Kiebitz herzurichten und obwohl wir nicht mit dem Geldkoffer vorfuhren, um gleich zu bezahlen, waren die Vertragsunterlagen sehr viel einfacher als in den Antragsverfahren für Agrarumweltmaßnahmen. Die Verträge liefen auf Jahresbasis, typischerweise von August bis Juli. Die Maßnahme selbst war simpel. Die Kiebitzinsel musste im Herbst gepflügt und bis Sommer des Folgejahres als selbstbegrünte Brache belassen werden. Verboten waren lediglich die Anwendung von Pestiziden und die Befahrung der Fläche. Die Vergütung betrug 750 Euro je Hektar. Die Resonanz auf die Maßnahme war gut. Ca. 70 % der Landwirte, welche einmal eine Kiebitzinsel angelegt hatten, wiederholte die Maßnahme in einem oder mehreren Folgejahren während der Projektlaufzeit von 2009-2015 [3].

Als das Projekt allerdings endete und die Kiebitzinsel in Sachsen als Agrarumweltmaßnahme in das normale Antragsverfahren integriert wurde, ging deren Zahl schlagartig drastisch zurück. Ohne flächen- und zielartenkonkrete Beratung durch Artenschutzfachleute haben viele Landwirte nicht die Ressourcen und/oder das Interesse, sich mit den komplexen Belangen des Artenschutzes und der Beantragung der Fördermittel auseinanderzusetzen.


Quellen

  1. Steffens, R., W. Nachtigall, S. Rau, H. Trapp & J. Ulbricht. 2013. Brutvögel in Sachsen. https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/20954.
  2. Statistisches Bundesamt (ed.). 2018. Fachserie 3 Reihe 3.1.2 – Land- und Forstwirtschaft, Fischerei – Bodennutzung der Betriebe (Landwirtschaftlich genutzte Flächen) 2018. Accessed 08 March 2019 at: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Publikationen/Bodennutzung/landwirtschaftliche-nutzflaeche-2030312187004.pdf.
  3. Schmidt, J.-U., M. Dämmig, A. Eilers & W. Nachtigall. 2015. Das Bodenbrüterprojekt im Freistaat Sachsen 2009-2013 – Zusammenfassender Ergebnisbericht. Schriftenreihe des LfULG 4/2015, Dresden. https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/23882/documents/33794.
  4. Schmidt, J.-U., A. Eilers, M. Schimkat, J. Krause-Heiber, A. Timm, S. Siegel, W. Nachtigall & A. Kleber. 2017. Factors influencing the success of within-field AES fallow plots as key sites for the Northern Lapwing Vanellus vanellus in an industrialised agricultural landscape of Central Europe. Journal for Nature Conservation 35: 66-76.

veröffentlicht: 01/2020


Autor

Dr. Jan-Uwe Schmidt
Technische Universität Dresden, Institut für Geographie, 01069 Dresden
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