Dr. Jan-Uwe Schmidt

Nassstellen als Kiebitzbrutplatz

Winterungen, v. a. Wintergetreide und Winterraps, sind die häufigsten einheimischen Ackerkulturen und werden in Mitteleuropa auf über 50 % der Ackerfläche angebaut (1, 2, 3). Sie besitzen daher für den Schutz der auf Äckern lebenden Vogelarten eine große Relevanz.

Kiebitze sind im zeitigen Frühjahr auf vielen Winterungen präsent, meist rastend auf dem Heimzug, teilweise aber ab März auch bereits auf der Suche nach einem geeigneten Brutplatz. Die großen, offenen und zu dieser Zeit oft noch niedrig und schütter bewachsenen Schläge bieten gute Sichtbedingungen auf potenzielle Feinde und insbesondere um Nassstellen auch eine gute Nahrungsversorgung. Kiebitze bevorzugen daher solche spärlich bewachsenen Flächen bis hin zu Rohbodenhabitaten als Neststandort. Das Nest ist lediglich eine flache Kuhle mit ein paar Halmen zur Auspolsterung und (meist) vier, hervorragend getarnten Eiern darin. Diese Strategie des Verbergens des Geleges innerhalb einer ausgedehnten Fläche funktioniert grundsätzlich sehr gut, solang die Altvögel potenzielle Prädatoren (z. B. Füchse, Krähen) zeitig genug entdecken. Das (meist brütende) Weibchen verlässt dann rechtzeitig das Gelege, während das wachende Männchen den Feind attackiert und zu vertreiben sucht. Dieses Verhaltensrepertoire versagt, wenn die Sichtbedingungen nicht ausreichend sind, z. B. infolge hoher Getreide- oder Rapsbestände.

Teilweise fungieren die großen Schläge mit Winterungen als eine Art ökologische Falle. Kiebitze werden im März zum Brüten verleitet, infolge des optimierten landwirtschaftlichen Anbaus (schnell wachsende Sorten, Düngung, konkurrenzfreies Wachstum) gehen dann jedoch viele Bruten infolge schlechter Sichtbedingungen durch Prädation verloren. Kiebitzinseln sollen einerseits dieses Problem lösen, indem sie eine ausreichend große, offene Fläche bieten. Darüber hinaus sollen sie Kiebitze anziehen, indem sie attraktiver sind als durch hohe Bodenfeuchte oder Frostwirkung von selbst entstehende, kleinere Fehlstellen. Kiebitzinseln sollen also geeignete Standorte für eine erfolgreiche Brut im März und April und, infolge Selbstbegrünung, auch für die anschließende Jungenaufzucht bereitstellen.

Wie gestaltet man eine erfolgreiche Kiebitzinsel?

Im Grunde ist die Herrichtung einer Kiebitzinsel recht einfach. Am wichtigsten ist, nach Ergebnissen einer mehrjährigen Untersuchung aus Sachsen, die Flächengröße. Es wurde deutlich, dass Kiebitzinseln mindestens 2 ha umfassen müssen, um attraktiv und erfolgreich (im Sinne des Schlupferfolgs) zu sein (4). Dies bedeutet, dass in Regionen mit geringeren Schlaggrößen als in Sachsen, teilweise ganze Schläge hergerichtet werden müssen.

Abb. 1: Kiebitzinseln sollten in einiger Distanz zu Strukturen angelegt werden, die Greif- oder Rabenvögeln als Sitzwarte oder Bodenprädatoren als Leitstruktur dienen können.

Die zweite wichtige Eigenschaft ist der Ort, an welchem die Kiebitzinsel angelegt wird. Dort wo noch Kiebitze vorkommen, ist die beste Stelle zweifellos da, wo die Kiebitze sind, zumal Kiebitze eine hohe Brutorttreue aufweisen. Darüber hinaus können Daten früherer Jahre aus Datenbanken oder Publikationen herangezogen werden, um traditionelle Brutplätze zu lokalisieren, die zumindest früher mal von den lokalen Gegebenheiten her geeignet waren. An neuen Standorten lohnt es zu schauen, wo Kiebitze regelmäßig auf dem Zug rasten. Typischerweise sind dies Felder in weiter, offener Landschaft mit gewisser Distanz zu allen Vertikalstrukturen (z. B. Bäume, Hecken, Freileitungen) (Abb. 1).

Des Weiteren steigert das Vorhandensein von offenen Wasserflächen die Wahrscheinlichkeit der Kiebitzansiedlung (4). Hohe Bodenfeuchte erleichtert den Vögeln die Nahrungssuche (v. a. Bodeninvertebrate) und hemmt das Vegetationswachstum (Abb. 2). Solche Nassstellen sind auf Satellitenbildern sehr gut erkennbar und die frei verfügbaren Aufnahmen können für die Planung verwendet werden (5). Es hat sich zudem gezeigt, dass nicht nur die Ansiedlung sondern vor allem auch die erfolgreiche Aufzucht der Jungen stark vom Vorhandensein geeigneter, i. d. R. feuchter Nahrungsflächen abhängt (6). Auch die künstliche Schaffung permanenter Nassstellen wurde bereits erfolgreich erprobt (7, 8).

Abb. 2: Nassstellen sind ideal für Kiebitzinseln (Foto: J.-U. Schmidt)

Für die technische Herrichtung der Kiebitzinsel gibt es verschiedene Möglichkeiten. Bewährt hat sich das Pflügen im Herbst zur Beseitigung der Vegetation (4, 6). Dies ist auch im Frühjahr noch möglich, kann aber bei längeren Phasen ungünstiger Witterung schwierig sein, was bei festen Verträgen weitere Probleme nach sich zieht. Das Grubbern der Flächen ist dagegen in vielen Fällen nicht ausreichend, um die Vegetation ausreichend zu stören, da viele Pflanzen schnell regenerieren. Die Anwendung von Totalherbiziden sollte vor allem aufgrund der im Naturschutzsinn anzustrebenden Multifunktionalität der Flächen unterbleiben. Die Herrichtung der Fläche muss jedes Jahr erneuert werden.

Während der Brutzeit verbleibt die Kiebitzinsel als selbstbegrünte Brache, mindestens bis Ende Juni. Das Befahren der Fläche sollte unterbleiben.

Wie schaut es mit Prädation aus?

Prädation auf Kiebitzinseln kann sehr gut mit Einzäunung vermindert werden, wozu mannigfaltige Erfahrungen vorliegen (6, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15). Eine weniger aufwändige Möglichkeit ist die Isolation der Flächen inmitten der Kulturen, weitab vom Feldrand und ohne Anschluss an die Fahrspuren (Abb. 1). Dazu muss ein separates Vorgewende um die Kiebitzinsel angelegt werden. Sitzkrücken für Greifvögel oder mobile Jagdkanzeln sollten nur außerhalb der Brutsaison aufgestellt werden.

Während Bodenprädatoren mit Einzäunung oder Abschirmung ferngehalten werden können, sind die Kiebitzinseln für Greif- und Rabenvögel durchaus attraktive Nahrungsgründe. Dies ist nicht einmal grundsätzlich abzulehnen, denn die Kiebitzinseln sollen jenseits ihrer Funktion für die Zielart auch positive Effekte für andere Arten erbringen. In Sachsen traten während fünfjähriger Erfassungen Rabenvögel nicht häufiger an Kiebitzinseln auf als an vergleichbaren Nassstellen ohne Artenschutzmaßnahme (4). Auf Landschaftsebene ließe sich das Prädationsrisiko ohnehin am besten reduzieren, wenn es möglichst viele, dispers verteilte Kiebitzbrutstandorte gäbe.

Wie hoch ist der Bruterfolg auf Kiebitzinseln?

Während der Schlupferfolg vergleichsweise leicht zu erfassen ist (16), gibt es wenig Daten zur Anzahl flügger Kiebitzjunge, da diese in der aufkommenden Vegetation sehr gut verborgen und daher schwer zu beobachten sind. In Deutschland wurde je Kiebitzpaar etwa ein Jungvogel flügge, ein deutlich höherer Wert als auf Vergleichsflächen (6). Daten aus England zeigen jedoch, dass ohne Zäunung die Verluste durch Bodenprädatoren auch sehr hoch sein können (17). Auch Nahrungsmangel ist eine häufige Todesursache, vermutlich insbesondere dann wenn die Brutplätze auf trockenen, stark besonnten Flächen liegen (17). Daher ist es wichtig, die Kiebitzinseln an Standorten mit hoher Grundfeuchte zu platzieren. Einer permanente Feldlache und Abschirmung gegen Bodenprädatoren erhöhen den Bruterfolg.

Gibt es positive Effekte auf andere Arten?

Neben dem Kiebitz bieten die Kiebitzinseln auch Lebensraum für andere Arten. Feldlerchen (Alauda arvensis) und Wiesenschafstelzen (Motacilla flava) waren auf fast allen untersuchten Kiebitzinseln als Brutvogel und Nahrungsgast präsent (4). In England wurden positive Effekte auch für Ammern (Emberiza spec.), Bluthänfling (Linaria cannabina), Feldhase (Lepus europaeus) sowie Schmetterlinge und Hummeln belegt (18, 19). Und nicht zuletzt bieten die Kiebitzinseln auch Raum für viele einjährige Ackerwildkräuter (4, 19).

Fazit

Kiebitzinseln bieten einen Brutplatz für Kiebitze und andere Ackervogelarten, z. B. die Feldlerche (Alauda arvensis). Sie sollten mind. 2 ha groß sein, an traditionellen Brutplätzen liegen (üblicherweise in einiger Entfernung zu vertikalen Landschaftselementen) und eine permanente Wasserstelle besitzen. Die Vegetation muss jährlich, am besten durch Pflügen im Herbst, beseitigt werden. Mit der Anlage von Kiebitzinseln können Landwirte ihr unsicheres Einkommen an Nassstellen durch Fördermittel aus Agrarumweltmaßnahmen ersetzen und nebenbei einen wertvollen Beitrag zum Artenschutz und für den Biotopverbund leisten.


Quellen

  1. DEFRA [Department for Environment, Food & Rural Affairs] (ed.). 2018. Structure of the agricultural industry in England – Detailed annual statistics on the structure of the agricultural industry at 1 June in England. Abgerufen am 08.03.2019 unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/751196/structure-june-eng-series-25oct18.xls.
  2. Statistik Austria (Hrsg.). 2018. Anbau auf dem Ackerland 2017. Accessed 08 March 2019 at: https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=020291.
  3. Statistisches Bundesamt (Hrsg.). 2018. Fachserie 3 Reihe 3.1.2 – Land- und Forstwirtschaft, Fischerei – Bodennutzung der Betriebe (Landwirtschaftlich genutzte Flächen) 2018. Abgerufen am 08.03.2019 unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Publikationen/Bodennutzung/landwirtschaftliche-nutzflaeche-2030312187004.pdf.
  4. Schmidt, J.-U., A. Eilers, M. Schimkat, J. Krause-Heiber, A. Timm, S. Siegel, W. Nachtigall & A. Kleber. 2017. Factors influencing the success of within-field AES fallow plots as key sites for the Northern Lapwing Vanellus vanellus in an industrialised agricultural landscape of Central Europe. Journal for Nature Conservation 35: 66-76.
  5. Schmidt, J.-U. 2018. Kiebitzinseln in der Agrarlandschaft – Von der Störstelle zum Habitat. Springer Vieweg, Wiesbaden, Deutschland.
  6. Cimiotti, D., H. Hötker, M. Avé, U. Bähker, H. Böhner, B. Hönisch, O. Kapoun, J. Kilian, T. Laumeier, U. Mäck, J. Melter, A. Reinhard, N. Röder, M. Sommerhage, J. Sohler & H. Theiß. 2017. Schutzmaßnahmen für den Kiebitz in der Agrarlandschaft – Ergebnisse der Feldversuche 2016. Bericht im Rahmen des Kiebitz-Projektes im Bundesprogramm Biologische Vielfalt. Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen, Deutschland. Abgerufen am 14.07.2017 unter: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/landwirtschaft/kiebitzprojekt_ergebnisse_der_feldversuche_2016_final_mit_anhang.pdf.
  7. Day, J., R. Sheldon, N. Symes, G. White & R. Winspear. 2013. Creating wader scrapes and flashes on farmland. Abgerufen am 25.09.2019 unter: https://www.rspb.org.uk/globalassets/downloads/documents/farming-advice/waderscrapes_tcm9-255078.pdf.
  8. Müller, W., C. Glauser, T. Sattler & L. Schifferli. 2009. Wirkung von Massnahmen für den Kiebitz Vanellus vanellus in der Schweiz und Empfehlungen für die Artenförderung. Ornithologischer Beobachter 106: 327-350.
  9. Langgemach, T. & J. Bellebaum. 2005. Prädation und der Schutz bodenbrütender Vogelarten in Deutschland. Vogelwelt 126: 259-298.
  10. Schifferli, L., R. Spaar & A. Koller. 2006. Fence and plough for Lapwings – nest protection to improve nest and chick survival in Swiss farmland. Osnabrücker Naturwissenschaftliche Mitteilungen 32: 123-129.
  11. Schifferli, L., O. Rickenbach, A. Koller & M. U. Grüebler. 2009. Massnahmen zur Förderung des Kiebitzes Vanellus vanellus im Wauwilermoos (Kanton Luzern) – Schutz der Nester vor Landwirtschaft und Prädation. Ornithologischer Beobachter 106: 311-326.
  12. Rickenbach, O., M. U. Grüebler, M. Schaub, A. Koller, B. Naef-Daenzer & L. Schifferli. 2011. Exclusion of ground predators improves Northern Lapwing Vanellus vanellus chick survival. Ibis 153: 531-542.
  13. Smith, R. K., A. S. Pullin, G. B. Stewart & W. J. Sutherland. 2010. Effectiveness of predator removal for enhancing bird populations. Conservation Biology 24: 820-829.
  14. Malpas, L. R., R. J. Kennerley, G. J. M. Hirons, R. D. Sheldon, M. Ausden, J. C. Gilbert & J. Smart. 2013. The use of predator-exclusion fencing as a management tool improves the breeding success of waders on lowland wet grassland. Journal for Nature Conservation 21: 37-47.
  15. Jeromin, H., K. Jeromin, R. Blohm & H. Militzer. 2014. Untersuchung zur Prädation im Zusammenhang mit dem Artenschutzprogramm „Gemeinschaftlicher Wiesenvogelschutz“ – Endbericht 2013. Michael-Otto-Institut im NABU im Auftrag von Kuno e. V., Bergenhusen, Germany. Abgerufen am 14.07.2017 unter: https://kuno.jimdo.com/app/download/6447195611/Untersuchung+der+Pr%C3%A4dation+in+der+ETS_Abschlu%C3%9Fbericht.pdf?t=1488366126.
  16. Eilers, A., J.-U. Schmidt & M. Dämmig. 2011. Erfassung des Schlupferfolges beim Kiebitz Vanellus vanellus – Erkenntnisse aus dem Bodenbrüterprojekt im Freistaat Sachsen. Actitis 46: 59-71.
  17. Hoodless, A. & M. A. MacDonald. 2014. Lapwings on agri-environment scheme fallow plots – research to improve lapwing breeding success. Defra Research Report on Project BD5211. Abgerufen am 169.03.2017 unter: http://randd.defra.gov.uk/Document.aspx?Document=13450_BD5211_Finalreport.pdf.
  18. Stevens, D. K. & R. B. Bradbury. 2006. Effects of the Arable Stewardship Pilot Scheme on breeding birds at field and farm-scales. Agriculture Ecosystems & Environment 112: 283-290.
  19. MacDonald, M. A., M. Maniakowski, G. Cobbold, P. V. Grice & G. Q. A. Anderson. 2012. Effects of agri-environment management for stone curlews on other biodiversity. Biological Conservation 148: 134-145.

veröffentlicht: 01/2020


Autor

Dr. Jan-Uwe Schmidt
Technische Universität Dresden, Institut für Geographie, 01069 Dresden
E-Mail: jan-uwe.schmidt@tu-dresden.de