Anuschka Tecker, Kristian Lilje & Aline Förster
Von der Erstbesiedlungserfassung über Maßnahmenkulissen hin zu wirksamen Kiebitzinseln
In der intensiv genutzten Agrarlandschaft des Münsterlandes brüten die meisten Kiebitze auf Äckern. Im Kreis Warendorf (WAF) und der Stadt Münster (MS) fokussieren sich Schutzmaßnahmen deshalb auf diese Flächen. Aufgrund der spärlichen Vegetation im Frühjahr besiedeln Kiebitze schwerpunktmäßig Sommerungen, auf denen im Laufe der Brutzeit Mais ausgesät wird.
Im Rahmen des BPBV-Projektes “Sympathieträger Kiebitz”, untersuchte die NABU-Naturschutzstation Münsterland zwischen 2015 und 2019 die Auswirkungen von Gelegeschutz sowie der Anlage von Kiebitzinseln auf den Bruterfolg von Kiebitzen. Um Bewirtschafter*innen eine eigenständige und wirksame Verortung der Inseln im Zuge von Förderprogrammen zu ermöglichen, wurden anhand erhobener Verbreitungsdaten teilflächenscharfe Maßnahmenkulissen erstellt.
Entsprechend dem bundesweiten Trend nimmt der Kiebitzbestand auch im Münsterland immer weiter ab. So wurden im Kreis Warendorf und der Stadt Münster 60 % bzw. 85 % weniger Kiebitzpaare verzeichnet als noch im Jahr 2003 (WAF 2017: n = 575; MS 2019: n = 59).
Schlupferfolg erhöhen durch Gelegeschutz
In Kooperation mit dem örtlichen Landwirtschaftsverband, der Landwirtschaftskammer und der Unteren Naturschutzbehörde werden die Bewirtschafter*innen im Kreis Warendorf seit 2017 vor der Brutsaison in einem Rundschreiben über Möglichkeiten des Kiebitzschutzes informiert. Dazu gehört auch die Ankündigung, dass haupt- und ehrenamtliche Nestmarkierer*innen noch unbestellte landwirtschaftliche Flächen für den Gelegeschutz betreten werden. Die Akzeptanz dieser Maßnahme zur Verhinderung von Bearbeitungsverlusten ist aufgrund der guten Kooperation sehr hoch.
Im Jahr 2017 wurden in Münster und Warendorf insgesamt 217 Erstgelege markiert und begleitet. Die Auswertung zeigte, dass durch Nestmarkierung zwar Bearbeitungsverluste weitestgehend verhindert, aber nur etwa 0,3 Küken pro Brutpaar flügge werden. Damit wird kein ausreichender Bruterfolg erzielt. Der für einen langfristigen Erhalt des Bestandes notwendige Wert liegt in Deutschland bei 0,8 flüggen Küken pro Paar (Plard et al. 2019).
Beobachter*innen koordinieren mit der App NestFinder
Um möglichst viele Helfer*innen in der kurzen „heißen“ Phase zwischen dem Beginn der Brutzeit und der Bodenbearbeitung zu aktivieren, wurden ehrenamtliche Nestmarkierer*innen geschult. Den Teilnehmenden wurde nicht nur eine einfache Methode zum Auffinden von Kiebitznestern vermittelt, sie erhielten außerdem eine Einführung in die Android-App NestFinder. Sie ermöglicht es den registrierten Nutzer*innen, Kiebitzbeobachtungen flächenscharf und Nester punktgenau auf einer Karte im Smartphone einzutragen. Erneute Kontrollen der Flächen und Nester können für alle sichtbar vorgemerkt werden, sodass Doppelkontrollen verschiedener Beobachter*innen ausgeschlossen werden. Für die Koordination großflächiger Besiedlungserfassungen ist auch die Reservierung und Zuordnung von Minutenfeldern (Größe ca. 1,4 x 1,8 km) und somit die sinnvolle und gleichzeitig flexible Aufteilung größerer Gebiete möglich. Durch die Synchronisation mit einem Server sind für die Nutzer*innen alle relevanten Daten sichtbar.
Bruterfolg erhöhen durch Kiebitzinseln
Als Schutzmaßnahme, die über den Gelegeschutz hinausgeht, wurden Kiebitzinseln angelegt. Das Ziel war die Schaffung geeigneter, gut geschützter Brut- und vor allem Nahrungshabitate für Kiebitze und deren Küken und damit die Erhöhung des Bruterfolgs. Die Inseln wurden von Bewirtschafter*innen als kurzzeitige, selbstbegrünte Ackerbrache innerhalb von landwirtschaftlichen Schlägen eingerichtet.

Sie waren mindestens 0,5 ha groß und beinhalteten eine quadratische Kernzone von 50×50 m, die einen Abstand von mindestens 20 m zu Strukturen aufwies, die von Kiebitzen in der Regel gemieden werden: Straßen, Gebäude, Hecken, Bäume, Wälder. Die Kombination aus Puffer und Kernzone gewährleistete eine „Kiebitzküken-Wohlfühlzone“ von mindestens 20×50 m im Abstand von 50 m zu kiebitzhemmenden Strukturen. Die darüber hinaus gehende Fläche war flexibel und konnte angrenzend an die Kernzone beispielsweise der Form des Ackers angepasst werden. Auf den Inseln herrschte Bewirtschaftungsruhe zwischen dem Abschluss des entsprechenden Vertrages im Frühjahr und Mitte Juli (in 2019 bis Ende Juli). Von den Kiebitzinseln konnten damit auch viele weitere Arten wie die Feldlerche sowie diverse Insektenarten profitieren.

Zwischen 2015 und 2019 wurden in Münster und dem Kreis Warendorf 29 Kiebitzinseln in Sommerungen und sieben in Winterungen angelegt. Mit 0,8 flüggen Küken pro Paar (N = 150 Paare) war der Bruterfolg mit dieser Maßnahme bestandserhaltend. Auf den Inseln in Sommerungen wurden durchschnittlich mehr Junge flügge (Bruterfolg 0,88 bei 113 Paaren) als in Winterungen (Bruterfolg 0,59 bei 37 Paaren).

Im Jahr 2019 war der Bruterfolg auf Kiebitzinseln in Sommerungen mit 0,6 flüggen Küken deutlich geringer als in den Vorjahren (32 Paare, 13 Inseln). In dem Jahr schienen die Besiedlung der Flächen durch Kiebitze und der Bruterfolg im Bereich der Inseln maßgeblich mit der Verfügbarkeit von wasserhaltenden, feuchteren Bodenstrukturen zusammen zu hängen. Die Wetterbedingungen der letzten beiden Jahre und die immer noch fehlende Feuchtigkeit im Laufe der Brutsaison verschlechterten die Bedingungen für die Kiebitze. In der Vergangenheit verhältnismäßig gut besiedelte schwere und feuchte Böden blieben unbesiedelt. Die Oberfläche der unbearbeiteten Äcker war teilweise kaum „stocherfähig“. Auf einigen Flächen konnten sich nicht einmal Ackerbeikräuter in nennenswertem Umfang etablieren. Dort blieben die unbewirtschafteten Inseln während der Brutzeit fast kahl.

Besonders sinnvoll ist die Anlage von Inseln deshalb im Bereich natürlicher Feuchtstellen, denn diese sind für Kiebitze beliebte Nahrungsflächen und bringen für Bewirtschafter*innen ohnehin eine geringe Ertragssicherheit.
Die Kiebitzinsel wird in NRW seit 2018 als einjähriges Naturschutzförderpaket „Feldvogelinsel im Acker“ angeboten.
Ein Hemmnis für die Teilnahme von Landwirt*innen an der Maßnahme ist die Verpflichtung zur quadratmetergenauen Teilschlagabgrenzung, da nur wenige über entsprechend genaue GPS-Geräte für die Einmessung verfügen. Darüber hinaus ist die Förderhöhe je nach Region und Pachtpreisen nicht attraktiv genug.
Wirksame Verortung durch Maßnahmenkulissen
Grundsätzlich ist das wichtigste Kriterium für erfolgreiche Kiebitzinseln die aktuelle oder in naher Vergangenheit erfolgte Besiedlung der für die Maßnahme ausgewählten Fläche. Da Flächen oft mehrere Jahre in Folge von Kiebitzen besiedelt werden, wurden entsprechende flächendeckende Maßnahmenkulissen aus den Verbreitungsdaten der Jahre 2017 bis 2019 für Münster und den Kreis Warendorf erstellt. Dafür wurden landwirtschaftliche Teilschläge (Teilflächen innerhalb von Ackerschlägen) als Bewirtschaftungseinheit mit 20 Metern Abstand zu kiebitzhemmenden Strukturen (Straßen, Gebäude, Bäume, Hecken, Wälder auf Grundlage des Digitales Landschaftsmodells) in einem Geographischen Informationssystem (GIS) gepuffert und so verkleinert. Die angepassten Teilschläge mit bekannten Kiebitzvorkommen wurden als „Maßnahmenkulisse“ definiert. Ist eine solche Kulisse vorhanden und elektronisch verfügbar, sind Bewirtschafter*innen in der Lage, selbstständig und ohne Vorkenntnisse geplante Kiebitzinseln auf ihren Flächen und am PC für den landwirtschaftlichen Sammelantrag zu verorten. Sie müssen nur darauf achten, die 50×50 Meter-Kernzone der Kiebitzinsel innerhalb dieser Kulisse zu platzieren. Diese Maßnahmenkulissen wurden der App NestFinder zugefügt und dienten 2019 bereits als Grundlage zur Einwerbung von 13 Kiebitzinseln. Im Rahmen des Projektes erhielten die Landwirt*innen Zugang zu den Maßnahmenkulisse über Mitarbeiter*innen der NABU-Naturschutzstation und die Verortung wurde meist gemeinsam vorgenommen. Für mehrere Kreise in NRW wurden bereits Maßnahmenkulissen erstellt, die knapp 60 % des Kiebitzbestandes abdecken.
Fazit und Ausblick
Kiebitzinseln können den Bruterfolg entscheidend steigern. Aus den Ergebnissen aus Münster und dem Kreis Warendorf lassen sich folgende wichtige Faktoren für wirksame Kiebitzinseln ableiten: Kiebitzbesiedlung, Feuchtigkeit und Strukturvielfalt auf der Fläche (z.B. vielfältige, niedrige Wildkrautvegetation, Bodenbeschaffenheit). Damit die Maßnahme einen sichtbaren positiven Effekt hat, muss sie den überwiegenden Teil der Kiebitzpopulation erreichen und deshalb in sehr großer Zahl in die Fläche gebracht werden. Für die Einwerbung und Etablierung sind deshalb für die Maßnahme offene Bewirtschafter*innen sowie ausreichend Beratungspersonal und Fördermittel notwendig. Hier würden die Etablierung der Maßnahmenkulissen und ihre Fortschreibung durch regelmäßig wiederholte Kartierungen die Effizienz maßgeblich erhöhen. Für die Sammlung der dafür notwendigen Daten und die Koordination der Beobachter*innen und Nestmarkierer*innen ist eine online-basierte Abstimmungsplattform notwendig. Eine solche Plattform bietet beispielsweise die App NestFinder, die auf weitere Regionen übertragen werden kann.
Danksagungen
Wir bedanken uns für die Förderung des BPBV-Projektes „Sympathieträger Kiebitz“ (2014 bis 2020) beim Bundesamt für Naturschutz, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.
Quellen
- Plard, F., Bruns, H.A., Cimiotti, D.V., Helmecke, A., Hötker, H., Jeromin, H., Roodbergen, M., Schekkerman, H., Teunissen, W., van der Jeugd, H. & Schaub, M. (2019): Low productivity and unsuitable management drive the decline of central European lapwing populations. Animal Conservation. doi:10.1111/acv.12540
veröffentlicht: 03/2020
Autor*InnEN
Anuschka Tecker, Kristian Lilje & Aline Förster
NABU-Naturschutzstation Münsterland, Westfalenstraße 490, 48165 Münster
E-Mail: kiebitz@nabu-station.de