Hans Uhl

Bruterfolge durch verzögerte Mais-Aussaat und Einflüsse außergewöhnlicher Trockenheit

Kiebitz-Population im Bundesland Oberösterreich

In Oberösterreich brüten gesamt 2000-3000 Kiebitz-Paare, zu ca. 90% auf Äckern. Für diese Ackerbrüter gab es bis zu diesem Projekt keinerlei Schutzmaßnahmen. Die wenigen Kiebitze in Schutzgebieten kommen auf spät gemähten Wiesen vor, ihre Bestände nahmen zwischen 2008 und 2016 um 44% ab. Die Kiebitz-Kolonien auf Äckern zeigten kurzfristig zwischen 2012 und 2016 sehr heterogene Bestandstrends von plus 167% bis minus 52%. Gleichzeitig liegen Hinweise auf starke räumliche Verlagerungen zwischen den Brutgebieten vor (Uhl & Wichmann 2017).

Aufgaben des Projektes

Im Naturpark Obst-Hügel-Land erprobte BirdLife Österreich von 2016 bis 2019 Schutzmaßnahmen für Kiebitz-Kolonien auf 2 km² großen Ackerflächen mit insgesamt 22 bis 35 Kiebitz-Paaren. Die durchschnittliche Größe der Ackerschläge im Gebiet beträgt ca. 3 ha. Den beteiligten Landwirten wurden vom Naturpark drei Maßnahmen angeboten: Erstens die Anlage von mehrjährigen, zur Brutzeit unbewirtschafteten Kiebitz-Inseln nach ÖPUL (Österreichisches Agrar-Umweltprogramm), zweitens der einjährige Bewirtschaftungsverzicht von Maisfeldern zwischen 15.3. und 10.5. und drittens das kleinflächige Markieren und Schonen von Kiebitz-Nestern.

Abb. 1: Untersuchtes Kiebitz-Brutgebiet im Naturpark Obst-Hügel-Land, 7.5.2018 (Foto: H. Uhl)

Für diese Maßnahmen bietet das Land Oberösterreich den Landwirten Entschädigungen in der Höhe von 200 bis 700 € je ha/Jahr an. Das Pilotprojekt will für die großen Kiebitz-Populationen auf Äckern gemeinsam mit Landwirten praxistaugliche Schutzmaßnahmen erproben, die im künftigen ÖPUL flächenhaft anwendbar sind. Als entscheidende Messgröße für die Maßnahmeneffekte wird der jährlich erhobene Reproduktionserfolg gewertet.

Methoden der Bestandserhebungen und Bruterfolgskontrollen

Jährlich fanden von Mitte März bis Anfang Juli wöchentliche Kontrollen statt, wobei alle relevanten Kiebitz-Sichtungen sowie die verorteten Neststandorte in Tageskarten eingetragen wurden. Zur Feststellung des Schlupferfolges wurden frisch geschlüpfte Küken (bzw. Kükengruppen) notiert, die einem Weibchen zuordenbar waren. Das Prozentverhältnis dieser, oft nur kurzfristig anzutreffen Kükengruppen in Relation zur unmittelbar davor dokumentierten Zahl hoch bebrüteter Gelege, ergibt den angegebenen Schlupferfolg. Bei einwöchigen Kontrollen ist nicht auszuschließen, dass kurz nach dem Schlupf verloren gegangene Küken unregistriert blieben. Die angegebene Schlupfrate ist demnach als Mindestangabe zu werten. Bezüglich des Schlupferfolges bei den meist gut einsehbaren Nestern der Erstgelege sind die Ergebnisse dieser Zählmethode als verlässlich einzustufen, hingegen bei den Ersatzgelegen in höherer Vegetation nur als grobe Annäherungswerte.

Ähnliches gilt für die Zahl flügger Jungvögel. Auf den relativ kleinen Schlägen erfolgte auf den sie durchschneidenden Güter- und Feldwegen intensive Nachsuche nach warnenden Altvögeln und ihren Küken. In Fällen von adulten Kiebitzen mit Küken-Warnrufen, in denen die Zahl der Jungvögel aufgrund der hohen Vegetation nicht eindeutig feststellbar war, wurde bei einem errechneten Alter von ca. vier Wochen mindestens ein flügger Jungvogel gewertet.

Als „flügge Jungvögel“ wurden also entweder gesichtete ca. vier Wochen alte Küken gewertet oder ein flügger Jungvogel je warnendem Paar nach oben beschriebener Altersberechnung. Bereits sehr gut flugfähige Jungvögel blieben aufgrund ihrer steigenden Mobilität bei dieser Zählmethode unberücksichtigt. Die Zahlen der flüggen Jungvögel aus Erstgelegen gelten aus Gründen der besseren Feststellbarkeit als valide, jene aus Ersatzgelegen sind jedoch mit einem größeren Unsicherheitsfaktor behaftet.

Beteiligung der Landwirte und Umfang der Schutzmaßnahmen

Nach Beratungen von 12 Betrieben beteiligten sich 6 an den Schutzmaßnahmen. Auf 47 ha Vertragsflächen kam die Maßnahme „Bewirtschaftungsverzicht von Maisfeldern von 15.3. bis 10.5.“ zur Anwendung. Dadurch wurden mindestens 50 Erstgelege vor maschineller Zerstörung bewahrt. Von 2016 bis 2019 markierten Ornithologen zudem 36 Nester, die Landwirte bei ihrer Bewirtschaftung kleinräumig schonten. Aufgrund mangelnder ökonomischer Konkurrenzfähigkeit der Fördersätze (max. 700 €/ha/Jahr) und weiterer, v. a. bürokratischer Hürden bei der Anwendung von Agrar-Umweltmaßnahmen, erwies sich die Anlage mehrjähriger Kiebitz-Inseln als nicht umsetzbar.

Abb. 2: Vertragsfläche für verspäteten Maisanbau, 26.4.2018 (Foto: H. Uhl)

Schlupf- und Bruterfolge

2016 lag der Bruterfolg bei mindestens 1,0 Jungvögeln/Paar. 2017 fiel dieser Wert auf 0,55, 2018 und 2019 auf 0,4 bzw.0,4-0,6. Der mehrjährige Bruterfolg für 2016-2019 lag in diesen intensiv bewirtschafteten Ackergebieten bei mindestens 0,56 Jungvögeln/Paar bzw. bei 60 bis 69 Jungvögeln aus 109 bis 123 Paaren. Trotz sehr ungünstiger Witterungseinflüsse in den außergewöhnlich trockenen Frühjahren 2017 bis 2019, mit einem hohen Kükenverlust durch Prädation und/oder Nahrungsmangel, konnte die Reproduktionsrate deutlich gehoben werden, nicht jedoch auf den Richtwert für vitale Populationen von ca. 0,8 (Horch et al. 2012, Plard et al. 2019). In den Jahren 2016 bis 2018 zeigte die Maßnahme „Bewirtschaftungsverzicht von 15.3-10.5.“ den markantesten Positiveffekt auf die Reproduktion der Kiebitze (siehe „Effizienz der Maßnahmen“ und Uhl 2019).

Abb. 3: Zwei brütende Kiebitze auf Fläche mit verspätetem Maisanbau, 26.4.2018 (Foto: H. Uhl)

Die Zahlen des Jahres 2019 sind typisch für die Brutverläufe der außerordentlich trockenen und warmen Frühjahre 2017 bis 2019: Die Schlupfrate der 21 Erstgelege lag bei >67%, gestützt durch die Schutzmaßnahmen. In den ausgetrockneten Feldern mit noch niedriger Vegetation verschwanden die meisten Küken in der zweiten Aprilhälfte danach rasch, nur ein bis vier flügge Jungvögel kamen durch, bezeichnender Weise im Umfeld einer, vom Biber überstauten Wiese, in die sich die Familienverbände zurück zogen.

Bei darauffolgenden, mindestens 28 Ersatzgelegen lag der ebenfalls hohe Schlupferfolg bei 75%. Der Reproduktionserfolg daraus war mit 12 bis 18 flügge Jungvögel weitaus höher als aus den Erstgelegen. Der Monat Mai 2019 verlief in Oberösterreich, im Gegensatz zu den extrem trockenen Monaten April und Juni, mit 21 Niederschlagstagen überdurchschnittlich regenreich. Dies dürfte die höhere Überlebensrate der Küken aus Ersatzgelegen wesentlich begünstigt haben, ähnlich der hohen Reproduktionsrate im regenreichen Frühjahr 2016.

Offen bleibt, welche Wechselwirkungen zwischen dem starken Austrocknen der Ackerflächen, damit verbundenen, jedoch nur vermuteten Nahrungsengpässen, der Prädationsrate und nachgewiesener, hoher Mortalität der Küken existiert.

Entwicklung der lokalen Population

Die lokale Population zeigte 2016 bis 2018 die üblichen Bestandsschwankungen von 32-35 (2016) bis 28-32 (2018) um zuletzt, vermutlich bedingt durch mäßige Bruterfolge, auf 23-25 Paare (2019) zu sinken. Analog zu großräumigeren Verlagerungen der Kiebitz-Kolonien in Oberösterreich zeigten sich auch lokal gegenläufige Trends. Während die Kolonie mit den effizientesten Schutzmaßnahmen und höchsten Bruterfolgen weitgehend stabil blieb, musste die Kolonie mit geringerer Nachwuchsrate Rückgänge hinnehmen. Nachgewiesen sind zudem kurzfristige Zuwanderungen während der Brutsaison in geschützte Ackerflächen von Kiebitzen, die davor in herkömmlich bewirtschafteten Kulturen offensichtlich ihre Gelege oder Küken verloren hatten.

Effizienz der Maßnahme „Bewirtschaftungsverzicht Maisbau, 15.3.-10.5.“

Diese Maßnahme erwies sich in den Jahren 2016 bis 2018 als jene, die den Bruterfolg am deutlichsten erhöhte. Neben der verzögerten Maisausaat wurde sie kombiniert mit einer möglichst, langsamen Erstbewirtschaftung ab 11.5., um die Kiebitz-Küken bestmöglich zu schonen bzw. ihnen Fluchtmöglichkeiten zu bieten.

Zumindest 50 Erstgelege wurden auf diesen Vertragsäckern so vor der maschinellen Zerstörung bewahrt. Da bei herkömmlich bewirtschafteten Maisfeldern bei der Erstbewirtschaftung im April alle Gelege verloren gingen, war die Erhöhung des Schlupferfolges, der entscheidende Effekt dieser Schutzmaßnahme. 2016 bis 2018 wurde aus dieser Maßnahme mindestens 37 Jungvögel flügge (1,1/Paar). Durch den völligen Ausfall des Reproduktionserfolges von 12 Paaren dieser Maßnahme 2019, sank der Gesamtwert für 2016-2019 auf 0,7/Paar, erreichte damit trotzdem fast den Wert für vitale Vorkommen.

Als weiterer Positiveffekt der Maßnahme „Bewirtschaftungsverzicht Maisbau“ ist zu werten, dass dadurch im Mai niedrig und schütter bewachsene Feldkulturen entstanden, während zu dieser Zeit im Umfeld mehrheitlich zu hohe und dichte Feldvegetation durch Wintergetreide und früh angebauten Mais vorherrschte. Unter bestimmten Begleitumständen (Bewirtschaftungsform der Nachbarfläche, lokales Nahrungsangebot, Witterung etc.) nutzten Familienverbände diese Vertragsäcker auch in dieser späteren Phase als Nahrungsflächen.

Abb. 4: Unterschiedliche Wuchshöhe des Mais aus verspäteter (links) und üblicher Ansaat (rechts) (Foto: H. Uhl)

Der Bewirtschaftungsverzicht bis 10.5. erwies sich für Küken aus frühen Erstgelegen, die mindestens 10 Tage alte waren, als ausreichend, da diese mehrheitlich erfolgreich den maschinellen Anbauarbeiten auswichen, wie nachfolgende Kontrollen belegen. Spätere Erstgelege bzw. Ersatzgelege kamen mit den maschinellen Anbauarbeiten ab 10.5. in Konflikt. Diese Nester wurden ausgesteckt und kleinräumig umfahren. Für die Überlebensrate weniger Tage alte Küken auf Feldern während der Maisansaat liegen keine verlässlichen Zahlen vor.

Im enorm trockenen Frühjahr 2018 kam es, trotz gewohnt hoher Schlupfrate, auf einem dieser Vertragsäcker erstmals zu einem lokalen Totalausfall in der Reproduktion. Alle Küken von vier Paaren verschwanden in den ersten drei Lebenswochen auf den ausgetrockneten Maisfeldern. Im Frühjahr 2019 wiederholte sich dieses kurzfristige Verschwinden aller kleinen Küken von 12 Paaren auf zwei Vertragsflächen. Da geeignete, kurzrasige und gleichzeitig ausreichend Deckung gebende Kulturen auf Nachbarflächen fehlten, wird die erhöhte Kükensterblichkeit durch eine Kombination von verstärkter Prädation und Nahrungsmangel erklärt.

Abb. 5: Frisch geschlüpfte Kiebitz-Küken in üblich bewirtschaftetem, stark ausgetrocknetem Maisfeld, 18.5.2018 (Foto: H. Uhl)

Effizienz der Maßnahme „kleinflächige Schonung der Kiebitz-Nester“

36 Nester wurden markiert und geschont. Diese Maßnahme kam in der Regel ab zwei Nester pro Feldstück und überwiegend bei Ersatzgelegen zur Anwendung, bei Einzelgelegen nur in Ausnahmefällen. Der Schlupferfolg konnte dadurch stark erhöht werden. Wegen starker Abwanderungsbewegungen der Familienverbände aus diesen herkömmlich bewirtschafteten Feldern, sind exakte Angaben zum daraus resultierenden Reproduktionserfolg unpräzise. Jedenfalls erwies sich diese Maßnahme als Türöffner in den Gesprächen mit den Landwirten und trug wesentlich zur Akzeptanz des Kiebitz-Schutzes bei.

Abb. 6: Kleinräumig geschonter Brutplatz des Kiebitz, 7.6.2018 (Foto: H. Uhl)

Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass dieses kleinräumige Nester-Ausstecken den Reproduktionserfolg weniger deutlich hebt, als die Maßnahme Bewirtschaftungsverzögerung des Maisanbaues. Als mögliche Gründe dafür werden erhöhtes Prädationsrisiko von kleineren Kiebitz-Kolonien bzw. Einzelpaaren sowie schlechtere Habitat-Bedingungen für frisch geschlüpfte Kiebitze auf früh bebauten und intensiv mit Pestiziden behandelten Maisflächen diskutiert.

Offene Fragen

Für erfolgreichen Kiebitz-Schutz in österreichischen Ackergebieten gelten aus diesen Projekterfahrung folgenden Fragen als besonders klärungsbedürftig:

  • Welche Wechselwirkungen zwischen trockenen, heißen Frühjahren, der Nahrungsverfügbarkeit der Küken in Feldern und Prädationsdruck existieren?
  • Wie wirken sich welche Kulturformen auf die Prädationsrate aus, bzw. welche Feldkulturen können dazu beitragen, diese zu verringern?
  • Mit welchen landwirtschaftlichen Kulturen (z. B. Anlage früh gemähter Wiesenstreifen) kann die praxistaugliche Maßnahme „verzögerte Aussaat Mais“ kombiniert werden, um die Überlebensrate der Küken in den Ackergebieten zu erhöhen?

Danksagungen

Ohne die Unterstützung durch DI Rainer Silber und Julia Kropfberger vom Naturpark Obst-Hügel-Land sowie Dr. Alexander Schuster und DI Josef Forstinger vom Amt der OÖ. Landesregierung wäre dieses Projekt weder entstanden noch durchführbar. Danke an Mag. Benjamin Seaman für seine Übersetzung ins Englische.


Quellen

Plard F., H. A. Bruns, D. V. Cimiotti, A. Helmecke, H. Hötker, H. Jeromin, M. Roodbergen, H. Schekkerman, W. Teunissen, H. van der Jeugd & M. Schaub (2019): Low productivity and unsuitable management drive the decline of central European lapwing populations. Animal Conservation. The Zoological Society of London. 11 S.

Horch P, D. Ramseier & R. Spaar (2012): Artenförderung Kiebitz im Wauwilermoos LU. Jahresbericht 2012. Schweizerische Vogelwarte Sempach.14 S.

Uhl H. & G. Wichmann (2017): Artenschutz- und Monitoring-Projekt zugunsten gefährdeter Kulturlandschaftsvögel in Oberösterreich, 2015-2017. Unpublizierter Projektbericht von BirdLife-Österreich. 83 S.

Uhl H. (2019): Kiebitz-Schutz im Naturpark Obst-Hügel-Land, Brutsaison 2019, Zwischenbericht. Unpublizierter Projektbericht von BirdLife-Österreich. 10 S.


veröffentlicht: 01/2020


Autor

Hans Uhl
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